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Die bunten Fenster

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Bilder in der Kirche?

Bilder in Gottesdiensträumen haben eine lange Tradition, die aus heutiger Sicht, abhängig vom konfessionellen Standort des Betrachters, unterschiedlich bewertet wird. Sie lösten erstmals im neunten und dann im sechzehnten Jahrhundert einen heftigen Streit aus, der, wenn auch marginal, das Zerwürfnis der christlichen Kirche verursachte. Nun richtete sich die Kritik am sogenannten Bilderdienst, der die reformierte Kirche veranlasste, Bilder aus den Gottesdiensträumen  zu verbannen, auf die göttliche Verehrung von Ikonen und begründet sich auf das Gebot „Du sollst Dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist: Bete sie nicht an und diene ihnen nicht!“ Solche Bilder sollten hier selbstverständlich nicht entstehen. Es gibt noch einen anderen Traditionszweig, der das Thema “Bilder in der Kirche“ berührt. Bevor die Bibel in Auflage gedruckt wurde, d.h. bevor Gutenbergs Erfindung der beweglichen Letter auch weniger Begüterten den Zugang zum Bibeltext ermöglichte, gab es eine Vermittlung  von Gottes Wort durch Bilder. Die sogenannte „Armenbibel“ (Biblia pauperum) hatte die Aufgabe, biblische Geschichten und Aussagen in Bilderfolgen, gedruckt von Holzstöcken, den leseunkundigen Gemeindemitgliedern nahe zu bringen. Die Kirchengeschichte zeigt zwar, dass solche Bilder später Ikonencharakter bekamen. Ursprünglich waren sie aber Illustrationen. Die Fenster in der Baptisten-Gemeinde sind diesem Traditionszweig nahe, wobei sie den Text des Schöpfungsberichtes nicht ersetzen sollen, sondern dem Betrachter eine Interpretationshilfe anbieten möchten.


Was machen Bilder?

Als professioneller “Bildermacher“ bin ich mir der grundsätzlichen Bedeutung von Bildern bewusst. Bilder behaupten Wirklichkeit, d.h. sie beeinflussen das Welt- und damit auch das persönliche Gottesbild mehr als das abstrakte Medium Sprache/Schrift/Text. Wenn ich als Schulbuchillustrator z.B. eine prähistorische Szenerie darstelle, vermuten die rezipierenden Schüler dokumentarischen Charakter. Selbstverständlich berichte ich nicht als Augenzeuge. Ich möchte lediglich  zu weiterreichender Phantasie animieren. Allerdings setze ich der Phantasie mit einer mehr oder weniger detaillierten Darstellung auch Grenzen, was eigentlich schade ist. Nach meiner Überzeugung haben Bilder sowohl in der freien Kunst als auch im angewandten Bereich die Aufgabe, Erinnerungen wach zu rufen und die Phantasie zu beflügeln, also zu kreativem Denken zu befähigen.  Sie sind ebenso wie Sprache ein Medium, das, wenn es verantwortungsvoll  verwendet wird, Auslöser kreativen Potentials sein kann. Im negativen Fall kann es aber auch das Gegenteil bewirken.


Sieben Fenster

Die Architektur des Saals in Falkensee hat sieben Fenster zur Gestaltung vorgesehen. Damit war die thematische Beschäftigung  mit den sieben Schöpfungstagen sehr naheliegend. Als Ursprung überhaupt bildet  dieser Zyklus den Anfang  eines Bogens, der sich vom Alpha zum Omega spannt, d.h. der bis zum Evangelium, zur Frohen Botschaft reicht, die auf der Kanzel verkündet wird.


Die Schöpfung

Beim Lesen des Textes im ersten Buch Mose entstehen Bilder vor dem inneren Auge von der Schönheit der Natur. Jeder hat “Schöpfung“ schon einmal bewusst erlebt. Schöpfung, die sich in so unterschiedlicher Weise offenbart.  Das Erwachen der Natur im Frühling, wenn sich der Wald langsam wieder grün färbt. Kreischende Möwen über der Gischt der Meeresbrandung. Schneebedeckte Berggipfel, die durch die Wolkendecke stoßen. Das individuelle  Gegenüber in einer vertraulichen Zweisamkeit. Ich glaube, jeder hat seine persönlichen Erinnerungen, die ihm beim Stichwort “Schöpfung“ kommen.

 

Es ist unmöglich,  z.B. den dritten  Schöpfungstag so darzustellen, dass jeder seine Bilder darin wiederfindet. Aber dieser Anspruch wurde auch überhaupt nicht erhoben. Für den Bildermacher selbst mag es eine Art Gottesdienst sein, die Natur in seiner Vielfalt und seinem Detailreichtum möglichst genau nachzuempfinden. Aber der Rezipient wird immer Lücken entdecken und mit dem Dargestellten nicht einverstanden sein – zu recht. Von daher ist eine andeutende und zitierende Darstellung  viel besser geeignet, den Blick den Bogen entlang auf den Schöpfer zu richten. Genau genommen handelt es sich bei dem Fensterschmuck ja “nur“ um farbige Flächen, die zu mehr oder weniger chaotischen Arrangements geschoben worden sind. Und die “vermeintlichen“ Bilder entstehen im Kopf des Betrachters. Das trifft selbstverständliche auf jedes zweidimensionale  Bild zu, wird aber bei abstrahierender Darstellung besonders deutlich.


Schöpfung – Kreation

Dies ist keine Anleitung  zum “richtigen“  Betrachten, zum Lesen der Fenster. Dennoch wird sicherlich hin und wieder die Frage gestellt werden, was damit gemeint sein solle. Wie gesagt, zunächst einmal handelt  es sich um farbiges Glas, um Scherben, die auf eine Fensterscheibe geklebt wurden. Die Anordnung  der Scherben zueinander bilden Konstellationen, die beim Betrachter wohlmöglich  Assoziationen auslösen. Beim dritten,  fünften  und sechsten Fenster ist das am wahrscheinlichsten. Der thematische Bezug dieser Fenster richtet sich auf die Schöpfung  von Formen. Pflanzen, Vögel, Fische, die anderen Tiere und Menschen werden die meisten Betrachter zu erkennen glauben. Dass sie dabei selbst kreativ, d.h. schöpferisch tätig werden, wird den wenigsten bewusst sein. Das Gebilde, was da als Elefant “erkannt“ wird, ist ja eigentlich nur ein Ensemble aus hellblauen  Drei- und Vierecken. Der assoziative Prozess, das Gesehene mit Erinnertem zu vergleichen, Fehlendes zu ergänzen und zu einem neuen Bild zu manifestieren, ist kreativ, ist schöpferisch.

 

Was den Menschen vom Tier unterscheidet, ist dieses kreative Potential. Gott machte den Menschen nach seinem Bilde und gab ihm dieses kreative Potential. Darum sollte die Frage nicht lauten: „Was haben die damit gemeint?“ sondern „Was meine ich damit? Was sehe ich?“ Genauso wie Gottes Wort an jeden persönlich gerichtet ist und jeder für sich interpretieren muss (oder darf), was Gott ihm sagen will, sollen die Fenster als ein Angebot verstanden werden. Die Frohe Botschaft ist keine Direktive, kein Diktat, das uns als Bürde aufgezwungen wird!  Ganz im Gegenteil befreit sie uns in ihrer zentralen Aussage von der Schuldenlast der Sünde. Sie öffnet  uns Perspektiven für ein freies Leben. Die bunten Fenster der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Falkensee sind ein Angebot. Vielleicht ermöglichen sie dem Betrachter eine neue Sicht. Das wäre schön!


Licht und Schmuck

Neben der intendierten Funktion der Fenster als Bildmedien sind sie natürlich  Einlässe für Tageslicht und Schmuckelemente. Und wenn sie ausschließlich diese Aufgabe erfüllten  – den Gottesdienstraum mit Tageslicht zu versorgen und zu schmücken – dann wäre das auch schon gut und Legitimation genug.

 

Ein Gottesdienst ist eine Feier. Während der (Arbeits-) Woche besteht ein permanenter Kontakt zu Gott – mehr oder weniger bewusst. Man ist sozusagen online und erledigt die Tagesgeschäfte im interaktiven Dialog mit konstantem Feedback – ein Arbeitsverhältnis, effizient, weil ohne Formalitäten funktionierend. Um sich dieses Geschenkes in seinen Dimensionen bewusst zu werden, die eigene Position zu überprüfen, auch, um sich auf die kommende (Arbeits-) Einheit vorzubereiten, ist ein Gottesdienst – üblicherweise am Sonntag, dem Tag, an dem auch Gott von seiner Arbeit  ausruhte – das beste Mittel. Dank und Verehrung, Anbetung, Konzentration, Ausrichtung auf Gott, ein Gottesdienst eben. Wir feiern unser Verhältnis zu Gott. Und wir schmücken den Raum, in dem wir feiern, um die Situation auch äußerlich vom Alltag zu unterscheiden. Um uns der Erhabenheit dieser unbegreiflichen  Unterstützung bewusst zu werden. Um die Probleme und Aufgaben, denen wir uns in der Woche stellen müssen, zu relativieren,  für diese Feier außen vor zu lassen. Beim Betreten eines geschmückten Raumes wer- den wir selbst herausgehoben aus den Anforderungen, die das tägliche Leben an uns stellt. Wir können einfach froh sein über unser Leben, die Schöpfung und dass wir nicht allein, sondern in Gott geborgen sind.


In Falkensee

Es war für mich eine sehr beglückende Erfahrung, bei der Gestaltung des neuen Gemeindehauses in Falkensee mitwirken zu dürfen. Das Engagement und die Begeisterung als Reaktionen der Gemeinde auf meinen kleinen Beitrag, die Entwürfe  für die sieben Fenster, war einfach überwältigend. Bei meinen Besuchen in Falkensee habe ich das entstehende Gebäude als Baustelle gesehen und fleißige Gemeindeglieder als Bauarbeiter und -helfer. „Die Gemeinde baut sich eine Kapelle.“  – dieses Bild hatte etwas archaisches, aber doch so selbstverständliches. So war es immer und so sollte es auch diesmal sein.

 

Als Hamburger gehöre ich selbst nicht zur Baptisten-Gemeinde Falkensee. Aber meine Vorschläge wurden vorbehaltlos betrachtet und beurteilt. Und sie wurden als würdig erachtet, in dem Gottesdienstraum realisiert zu werden. In der Gemeinde wurde farbiges Glas gesammelt. Brüder und Schwestern haben sich in neuen Verfahrenstechniken geübt, um die Entwürfe mit viel Liebe zum Detail möglichst genau umzusetzen. Das, was ich im “stillen Kämmerlein“ ersonnen habe, wurde hier Realität. Und ich finde, es ist sehr schön geworden.

 

Ich wünsche der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Falkensee und deren Besuchern alles Gute und eine lebendige Begegnung mit Gott – und viel Freude beim Betrachten der Fenster.

 

Michael Teßmer

 

Studierte Illustration an der Fachhochschule Hamburg

Heute Grafiker und Mitglied einer Ateliergemeinschaft in Hamburg